Die Vision Pro ist nun auch in Deutschland erschienen. Der stern hat mit Apple-Chef Tim Cook darüber gesprochen, was die Brille für die Kunden und den Konzern bedeutet – und warum sie 4000 Euro kostet.
Eine neue Ära des Computers – so vollmundig stellte Apple-Chef Tim Cook vor einem Jahr die Datenbrille Vision Pro vor. Die Erwartungen an die seit dem 12. Juli auch in Deutschland erhältliche Brille sind entsprechend hoch. Auch bei Apple selbst: Der Konzern benötigt dringend einen Nachfolger für das iPhone. Darauf, ob die Vision Pro das sein kann, will CEO Tim Cook sich aber noch nicht festlegen.
«Es ist Technik von morgen, schon heute», schwärmt Cook im Gespräch mit stern und ntv über die Vision Pro. «Wir werden auf diesen Moment zurückblicken und uns fragen, wie wir jemals ohne sie gelebt haben.»
Vision Pro: Für Apple eine neue Ära
Dass die Vision Pro das iPhone beerben soll, hat Apple bei der Ankündigung bereits selbst impliziert. «So wie mit dem Mac der Personal Computer eingeführt worden ist und mit dem iPhone der mobile Computer, so wird die Vision Pro den räumlichen Computer einführen», bekräftigt Cook die Vision, die im Englischen mit «Spatial Computing» etwas schmissiger klingt. «Es wird ein Moment werden, an den sich die Menschen erinnern», glaubt er.
Noch scheint diese Vision aber weit weg zu sein. So begeistert die Vision Pro in der Techwelt aufgenommen wurde – die Coolness eines iPhones scheint sie bei den meisten Menschen nicht zu vermitteln. Das hängt sicherlich auch mit einem nicht unwesentlichen Detail zusammen: Man trägt die Brille mitten im Gesicht. Und schafft damit eine Barriere zwischen sich und den Menschen.
Augenkontakt nur virtuell
«Wir haben das im Design-Prozess berücksichtigt», sagt Cook. Ein Feature namens Eysight spiegelt die Augen des Trägers nach außen, wenn dieser andere Person anschaut. «Dadurch verliert man nicht die Verbindung zu den Menschen im eigenen Umfeld, wenn man das Produkt nutzt. Wir wollen nicht, dass Sie von der Welt abgeschottet sind.» In der Praxis wirken die digitalen Augen auf viele Menschen aber befremdlich.
Auf die Frage, ob Menschen die Brille nicht auch wie ein Smartphone empfinden würden, das man während eines Gesprächs anstarrt, antwortet Cook: «Wir werden lernen, in gewisser Weise zu koexistieren. Und ich denke, wir haben uns sehr darum gekümmert, ein Umfeld zu schaffen, in dem niemand isoliert ist. Das ist uns wirklich wichtig.» Im Zweifel solle man die Brille ohnehin abnehmen. «Meine Philosophie ist: Wenn Sie häufiger auf Ihr iPhone schauen als in die Augen Ihres Gegenübers, machen Sie etwas falsch. Wir wollen als Firma überhaupt nicht, dass Menschen ihren ganzen Tag mit unseren Geräten verbringen.»
Apple braucht das nächste iPhone
Das ist durchaus glaubwürdig: Anders als andere Silicon-Valley-Giganten wie Google oder Microsoft nimmt Apple den Großteil seines Geldes nicht mit Werbung oder Software-Lizenzen ein, sondern mit dem Verkauf von Produkten. Die definiert Apple allerdings nicht nur über die Hardware. «Unsere Stärke ist es, Hardware, Software und Dienste nahtlos miteinander zu verknüpfen. Die Magie entsteht dann in den Überschneidungen der drei», erklärte Cook dem stern im vergangenen Jahr.
Genau dieser Ansatz stellt den Konzern zuletzt allerdings vor Herausforderungen. Weil die Sprünge zwischen den Generationen immer kleiner werden, stagnieren auch die Verkäufe. Die Zeiten, in denen Nutzer sich alle zwei Jahre ein neues Smartphone zulegten, sind längst vorbei. Selbst viele Apple-Fans warten mittlerweile drei, vier oder gar fünf Jahre, bis sie das alte Gerät in Rente schicken.
Das iPhone, eine Weile für fast 80 Prozent von Apples Einnahmen verantwortlich, ist zwar immer noch eine sichere Bank. Das von der Börse erwartete Wachstum kann es aber nicht mehr alleine stemmen. Zwar sind Apples Strategien, die Abhängigkeit vom iPhone zu verringern, erfolgreich – die Service-Sparte bringt mittlerweile 20 Prozent der Einnahmen, die Apple Watch hat sich als enorm erfolgreiches Zusatzgeschäft entwickelt –, ersetzen kann der Konzern seine Cashcow bisher aber nicht. Dazu müsste eine neue Produktkategorie her, die dann idealerweise wie das iPhone eine neue Ära einleitet.
Spatial Computing statt Metaverse
«Wir alle lieben unsere virtuellen Welten, wir lieben unsere echte Welt – aber sie sind noch getrennt. Jetzt wird es möglich, beide Welten zu verschmelzen», erläutert Cook seine Vision der neuen Ära. Durch ein Display direkt vor den Augen und Kameras an der Außenseite vermische die Vision Pro die echte Welt mit dem virtuellen Raum. Dabei geht es nicht nur um Spielen und Arbeiten. «Das kann ein emotionales Erlebnis sein – wenn Sie auf ein Foto schauen und es sich anfühlt, als würden Sie diesen Moment erneut erleben. Wenn Sie sich ein immersives Video anschauen und es sich anfühlt, als wären Sie mittendrin.»
Die Mischung aus virtueller und echter Welt ist zwar nicht neu, so durchdacht wie bei Apple wirkte sie bisher aber noch bei keinem der Konkurrenten. Wenn man die Vision Pro benutzt (hier finden Sie unseren Test), ist der Unterschied sofort spürbar: Durch die hohe Auflösung und die geringe Verzögerung vergisst der Nutzer quasi sofort, dass er die echte Welt nur durch ein Display sieht. Die Steuerung mit den Augen und den Händen ist enorm intuitiv.
Die Vision Pro ist aber nicht nur technisch besser als Konkurrenten wie Meta Quest. Sie hat auch einen anderen Ansatz. «Das Produkt ist eine Kategorie für sich», glaubt Cook. «Es ist nicht nur eine weitere VR-Brille. Es ist ein räumlicher Computer. Das ist etwas ganz Anderes.» Statt einfach nur Objekte wie Programmfenster einzublenden, erlaubt sie, diese frei im Raum zu platzieren, wo sie dann auch bleiben, wenn man sich bewegt. Statt eines flachen Bildschirms wird plötzlich der gesamte Raum zum begehbaren Interface, in der Ecke die SMS, an der Wand riesig die Lieblingsserie. Und auf dem Tisch das 3D-Brettspiel.
Ist Spatial Computing bereit für die große Bühne?
Der Weg dahin war lang. «Ich erinnere mich an den ersten Prototyp, den ich hatte. Es war ein Riesengerät, man konnte es noch nicht aufsetzen. Das war vor vielen, vielen, vielen Jahren», berichtet Cook. «Die Auflösung war nicht gut. Aber es war genug, um zu erkennen, dass es eine große Idee ist, diese zwei Welten zu verschmelzen.»
Ob die Brille bereit für die große Bühne ist, soll auch im Konzern kontrovers diskutiert worden sein. Zu groß sind noch die Kompromisse, etwa beim Gewicht. Der wegen der teuren Hardware noch enorm hohe Preis von 3999 Euro dürfte viele Kunden abschrecken. Aktuell fühlt sich die Vision Pro wie ein erster Schritt an, der auf beeindruckende Art und Weise zeigt, in welche Richtung es gehen soll, aber eben noch nicht dort angekommen ist. Gerüchten zufolge arbeitet Apple deshalb bereits mit Hochdruck daran, eine günstigere und leichtere Version zu entwickeln.
Die Wette gilt
Wie viele Kunden sich von der aktuellen Version überzeugen lassen, bleibt abzuwarten. Gerüchten zufolge fielen die Verkäufe bisher noch verhaltener aus, als Apple ohnehin schon erwartet hat. In den USA sollen viele Käufer die Brille bereits zurückgeben. Allerdings brauchte auch das iPhone mehrere Jahre, bis es richtig Schwung aufnahm. Und gemeinsam mit anderen Produkten die Smartphone-Revolution auslöste.
Dass es sich auch für Apple um eine Wette handelt, ist auch Cook durchaus bewusst. «Wir werden sehen, wie viele wir verkaufen», erklärt er auf die Frage, ob die Vision Pro für den Konzern irgendwann genauso wichtig sein wird wie das iPhone. «Wir haben uns immer darauf konzentriert, die besten Produkte zu machen, nicht die meisten.»