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Kanzler auf dem Weg nach China Der Schock in 11.900 Metern Höhe

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnt vor einem "regionalen Flächenbrand" im Nahen Osten
© Michael Kappeler / DPA
Drei Tage, viele Konflikte: Der Besuch des Kanzlers in der Volksrepublik ist ohnehin heikel – jetzt wird er auch noch von der dramatischen Zuspitzung im Nahen Osten überlagert.

Noch fünf Stunden bis China, die Kanzlermaschine schwebt auf 11.900 Metern Höhe. Olaf Scholz und seine Vertrauten wollen sich gerade schlafen legen, da platzt eine Nachricht in den Flieger: Der Iran macht mit seinen Drohungen ernst, fährt einen schweren Luftangriff auf Israel. Drohnen fliegen, Raketen. Amerikanische, britische und israelische Kampfjets steigen auf, wehren die Attacke offenbar größtenteils ab. Aber in Nahost stehen die Zeichen jetzt auf Krieg. Auch das noch.

Der Kanzler wird im Flieger laufend informiert, spricht mit Vertrauten, darunter Jens Plötner, sein außenpolitischer Berater. Sie durchforsten öffentliche Quellen, sortieren vertrauliche Informationen der Dienste. Und entwerfen eine kurze schriftliche Reaktion, die sie direkt nach Landung im chinesischen Chongqing verschicken, der angeblich größten Stadt der Welt. "Mit dieser unverantwortlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Attacke riskiert Iran einen regionalen Flächenbrand. In diesen schweren Stunden steht Deutschland eng an der Seite Israels."

Iran greift Israel an: Scholz war auf Eskalation vorbereitet

Die Eskalation durchkreuzt den Trip des Kanzlers, so sehr man sich im Westen in den letzten Stunden auch auf die Angriffe vorbereitet hatte. Drei Tage wird Scholz nun in China unterwegs sein, eine ungewöhnlich lange Auslandsreise. Allein für das Treffen mit Xi Jinping, dem chinesischen Präsidenten, sind am Dienstag mehrere Stunden vorgesehen. Um fairen Handel soll es gehen, um Klimafragen, um die Lage in der Ukraine. Die Frage ist: Gilt der Plan noch?

Pausenlos waren Außenministerium und Kanzleramt in den vergangenen Tagen damit beschäftigt, die Lage in der Region zu beobachten, Szenarien zu entwerfen, Geheimdienstinformationen auszuwerten. Auslöser der neuen Eskalation war ein Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus Anfang April, der Israel zugeschrieben wird. Ein General wurde getötet, mehrere hohe iranische Offiziere. Israel werde "bestraft", kündigte Irans Revolutionsführer Ali Khamenei an: "Und so wird es sein."

Es wird jetzt auch um die Frage gehen, ob weitere iranische Angriffe folgen, wie Israel und der Westen reagieren, ob es einen Gegenschlag geben muss, wie er aussehen könnte. Noch am Sonntag dürften sich die Staats- und Regierungschefs der G7-Länder zusammenschalten. Israel drängt auf eine Sondersitzung des Uno-Sicherheitsrats. Das Kanzleramt hat einen Techniker an Bord, der während der Reise immer sichere Kommunikation bereitstellen kann.

 

Hektisch wurde im Westen zuletzt versucht, die iranischen Angriffe noch zu verhindern. Man werde "eisern" an der Seite Israels stehen, wenn es verteidigt werden müsse, kündigte Joe Biden, der US-Präsident, vorsichtshalber an. Annalena Baerbock, die Außenministerin, rief schon vor einigen Tagen ihren Amtskollegen in Teheran an, auch aus dem Kanzleramt wurde telefoniert. Ein Flächenbrand im Nahen Osten? Nicht auch noch das. 

Könnte China helfen?

Scholz wird wohl Teile seines Programms umschmeißen müssen, jedenfalls für den Sonntag und den Montag. Eine Bootsfahrt über den Jangtse war vorgesehen, Gespräche mit Stadtplanern und Studierenden. Das sähe jetzt seltsam aus.

Ist Scholz zur falschen Zeit am falschen Ort? Kann sein. Andererseits: Ausgerechnet jetzt eine stundenlange Klausur mit dem Präsidenten einer Weltmacht vor sich zu haben – perfektes Timing. So kann man es auch sehen. Und das Treffen mit Xi werde stattfinden, versichert man im Team Scholz.

China hat Einfluss auf das iranische Regime. Wie groß der wirklich ist, ist unklar. Aber was im Kanzleramt auffiel, ist, wie sehr Chinas Präsident Xi es zuletzt darauf anzulegen schien, diplomatisch an Reputation zu gewinnen. Vielleicht geht da was, gerade jetzt.

Hinzu kommt: Ökonomisch hat China schon bessere Zeiten erlebt. Turbulenzen in der Weltwirtschaft kann das Land gerade nicht gebrauchen. Dürfte es nicht auch in Xis Interesse liegen, sich in Nahost mit einzuschalten?

Gerne erinnert man im Team des Kanzlers daran, dass Scholz bei seinem ersten Besuch in Peking im Jahr 2022 Chinas Präsidenten abgerungen hatte, öffentlich vor dem Einsatz von Atomwaffen zu warnen. Ein wichtiges Signal an Russland, weil China der wohl wichtigste Verbündete des Kremls ist. Jetzt wäre es schon wichtig, wenn China zumindest im Hintergrund mitarbeiten würde, die Kriegsspiele des Iran zu beenden. Alles, was hilft, ist willkommen.

China besser lesen zu lernen, aber auch die eigenen Interessen klar zu formulieren, ist einer der Gründe für den Trip des Kanzlers. In wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen hat sich im Kanzleramt Ärger über das chinesische Vorgehen breitgemacht. China liefert zwar keine direkten Waffen an Russland, aber eine Vielzahl an Gütern, die es dem Kreml ermöglichen, den Krieg weiterzuführen, teilweise sogar zu forcieren. Neutral sei China jedenfalls nicht, heißt es im Kanzleramt.

Ob Xi sich beeindrucken lässt? Völlig unklar

Der Kurs von Xi Jinping in Sachen Ukraine stehe "deutschen Kerninteressen" entgegen, das werde man in aller Deutlichkeit ansprechen. Ob das Xi beeindruckt? Unwahrscheinlich. Der Krieg hat einige schöne Nebeneffekte für die Volksrepublik, die Schwächung Europas, der Streit in den USA. Schön wäre aus Sicht von Scholz schon, sollte sich die chinesische Regierung darauf einlassen, die Einladung zu einer Friedenskonferenz anzunehmen, zu der die Schweiz im Juni eingeladen hat. Wie war das? Alles, was hilft.

Übrigens: Rund ein Dutzend CEOs sind in der Kanzlerdelegation dabei, darunter die Chefs dreier großer Automobilkonzerne. Dass Scholz die Bosse mitnimmt, ist insofern erklärungsbedürftig, als dass sich die Bundesregierung in ihrer China-Strategie eigentlich darauf geeinigt hatte, die Volksrepublik zum "Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen" zu erklären und eine zu enge wirtschaftliche Verflechtung zu vermeiden, um nicht in ähnliche Abhängigkeiten zu geraten, wie einst mit Russland.

Aber es gibt eben viele Probleme. China flutet den europäischen Markt mit subventionierten E-Autos, mit billigen Produkten, wie Batterien, Geräten, Solarpanels. Die EU-Kommission denkt über Strafzölle für chinesische Exporte nach, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Das wiederum versetzt die deutsche Wirtschaft in Aufregung, weil mögliche Gegenmaßnahmen wohl vor allem sie treffen würde. Der Zugang zum riesigen chinesischen Markt ist aus Sicht vieler großer Unternehmen unverzichtbar. Adäquaten Ersatz gibt es bislang nicht.

Drei Tage, viele Konflikte. Und eine Entwicklung im Nahen Osten, die das Drehbuch dieses Besuchs noch auf den Kopf stellen dürfte.

rw

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