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Krieg in der Ukraine: Russischer Raketenschlag: Putin wird immer rücksichtsloser

Krieg in der Ukraine Russischer Raketenschlag: Putin wird immer rücksichtsloser

Die MiG-31 spielt eine wichtige Rolle bei den Raketenschlägen, sie transportiert die Hyperschallwaffe Ch-47M2 Kinschal

Die MiG-31 spielt eine wichtige Rolle bei den Raketenschlägen, sie transportiert die Hyperschallwaffe Ch-47M2 Kinschal

© Picture Alliance

Über 200 Drohnen, Raketen und Marschflugkörper haben die Ukraine an einem Tag angegriffen. Um die Stromversorgung lahm zu legen, greifen die Russen immer riskantere Ziele an.

Seit Winter 2022/2023 greifen die Russen die Energieversorgung der Ukraine gezielt an. Im Frühjahr 2024 erreichten die Angriffe eine neue Qualität. Die russischen Fernwaffen – Marschflugkörper und Raketen – arbeiteten sehr viel präziser als zuvor. Die Angriffe wurden besser geplant. Zu diesem Zeitpunkt begann Russland gezielt, die Kraftwerke zu zerstören.

Die aktuellen Angriffe stellen einen neuen Höhepunkt dar. An einem Tag – 25. zum 26. August – setzte Russland weit über 200 Cruise-Missiles, Raketen und Drohnen ein. Kiew behauptet – wie immer – fast alle Flugkörper abgeschossen zu haben. Das glaubt auch im Westen niemand mehr. Selbst nach den Angaben von General Oleksandr Syrskyj, der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, werden nur ein Viertel der russischen Marschflugkörper und Raketen abgeschossen. Von den billigen Drohnen nach iranischem Muster sind es zwei Drittel. Diese Drohnen dienen allerdings vorrangig dazu, die Luftabwehr zu beschäftigen, was wirklich zählt, sind die Treffer der Präzisionswaffen.

Raketen, Drohnen, Marschflugkörper

Am Montag wurden drei Hyperschallwaffen vom Typ Kinschal eingesetzt. Dazu 115 Marschflugkörper, 77 Kh-101s, 28 vom Typ Kalibr, und 10 luftgestützte Kh-59/69s. Von ihnen will die Ukraine 99 abgeschossen haben. Naturgemäß ist es schwer, die genaue Zahl der «Treffer» zu ermitteln, doch die Diskrepanz zu Syrskyjs Angaben ist augenfällig. Der X-Account «AMK Mapping» analysiert, dass keine der Kinschal-Raketen abgeschossen wurde und gibt als konservative Schätzung 56 Treffer durch Marschflugkörper an. Dazu dürften auch einige der über Hundert eingesetzten Drohnen ihr Ziel erreicht haben. In der folgenden Nacht – 26. zum 27. August – setzten die Russen weniger Waffen ein. Aber immer noch drei Hyperschallwaffen vom Typ Kinschal, fünf Marschflugkörper Kh-101s und sechzig Drohnen.

Diese Zahlen sind verheerend. Die Logik «mehr als die Hälfte wurde immerhin abgeschossen» greift leider nicht, denn die Waffen, die durchkommen, richten gewaltige Schäden an. In diesem Fall: 60 wichtige Ziele wurden bei einem Angriff beschädigt, teilweise schlagen allerdings mehrere Waffen in ein Ziel ein. Ende Juni schrieb das OSW Centre for Eastern Studies, ein Thinktank aus Warschau: «Infolge der massiven Angriffe der letzten Monate gingen etwa 80–90 % der Energieerzeugungskapazität der Ukraine in Wärmekraftwerken und etwa 45 % in Wasserkraftwerken verloren.»

Dauerhafte Schäden 

Im Gegensatz zu den früheren Angriffen richten die des Jahres 2024 irreparable Schäden an, weil die Marschflugkörper der Russen in den zentralen Maschinenhallen der Kraftwerke einschlagen. Derartige Schäden sind nur mit einem Neubau zu beheben. Kurzfristige Blackouts haben allerdings wenig Aussagekraft, damit reagieren die Betreiber auf die «Erschütterungen» des Netzes. Ein komplettes, andauerndes «Licht Aus» ist nicht zu erwarten. In einem Stromnetz müssen Einspeisung und Entnahme immer synchron sein. Wenn industrielle Großverbraucher vom Netz genommen werden, kann auch ein Netz mit deutlich reduzierter Kapazität auf niedrigem Level noch funktionieren.

Bisher konzentrierten sich die Russen auf Kohle- und Gaskraftwerke. Inzwischen sind diese fast komplett zerstört. Mit dem Angriff am Montag auf das Kraftwerk auf dem Damm des Kiewer Stausees zeigt sich die nächste Eskalationsstufe. Moskau wird vermehrt Wasserkraftwerke angreifen, auch wenn hier immer die Gefahr besteht, dass die Staudämme beschädigt werden. So wie schon im Sommer begonnen wurde, Rüstungsfabriken massiv anzugreifen, die mitten in Städten liegen. Ein plötzlicher Bruch des Damms bis zum Grund, wie in einem Katastrophenfilm, der eine plötzliche verheerende Überschwemmungswelle auslöst, ist bei einem versehentlichen Einschlag wenig wahrscheinlich. Eine Überflutung großer Bewohnter Gebiete durchaus möglich. Strom ist vor allem darum noch verfügbar, weil die ukrainischen Kernkraftwerke weiterhin Strom liefern.

Angriffe immer in Abständen 

Netz-Knotenpunkte und Umspannungswerke konnte Kiew mit Hilfe der Verbündeten relativ schnell in Stand setzen. Die Schäden an den Werken selbst sind bleibender Natur. Die Russen greifen die Anlagen mit so einer Vehemenz an, dass sie praktisch neu errichtet werden müssen. Auch über den Krieg hinaus richtet Russland so bleibende Schäden an. Die Kyiv School of Economics (KSE) bezifferte den Schaden allein in der Energieversorgung Stand Juni auf etwa 50 Milliarden Euro.

Die Russen sind nicht in der Lage, jeden Tag hunderte von Cruise-Missiles und Drohnen einzusetzen. Diese Angriffe erfolgen in Abständen von mehreren Wochen. Die Zeit wird auch benötigt, um die Wirkung der vorhergehenden Angriffe zu bestimmen und neue Ziele festzulegen. Wenn die Russen diese Offensive weiter fortsetzen, muss man mit immer mehr zivilen Opfern richten. Zumindest in der Energieversorgung sind die einfachen Ziele bereits zerstört, es bleiben die riskanten.

Insgesamt rächt sich die ungenügende und verzögerte Lieferung von Luftabwehrsystemen des Westens an die Ukraine. Die Luftabwehr kann die russischen Angriffe behindern, aber nicht in so einem überwältigenden Maße, wie es nötig wäre, um schwere Schäden zu vermeiden. Inzwischen trifft auf die Ukraine die Beschreibung von Adolf Galland, ein berühmter Jagdflieger aus dem Zweiten Weltkrieg, zu: Das Land ist ein «Haus ohne Dach».

Kiew greift ebenfalls an

Kiews wirksamste Gegenmaßnahme ist nicht der Schutz des eigenen Landes, es sind Schläge tief nach Russland hinein. Dazu dürfen die aus dem Westen gelieferten Waffen weiterhin nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden. Die Ukraine hat sich bisher mit Drohnen aus eigener Produktion beholfen. Diese basieren auf Ultraleichtflugzeugen und haben eine sehr große Reichweite. Immer wieder gelingen spektakuläre Erfolge vor allem gegen Tanklager und Raffinerien. Sie sind wegen der explosiven und brennbaren Treibstoffe geeignete Ziele, da die Zerstörungswirkung im Wesentlichen durch die folgenden Brände geschieht und nicht allein durch den begrenzten Gefechtskopf. 

Die Drohnen selbst sind keine unüberwindlichen Waffen. Russland hat aber mit der Größe des Landes zu kämpfen und muss eine große Zahl an möglichen Zielen schützen. Am 27.08 verkündete Präsident Selenskyj, dass die Ukraine erstmals eine eigene ballistische Rakete getestet habe. Mit der Eigenproduktion von Waffen kann sich das Land von den Restriktionen der westlichen Partner unabhängig machen. Diese Entwicklung wurde schon lange erwartet. In der UdSSR waren zahlreiche Rüstungsunternehmen in dem Land beheimatet. Know How ist vorhanden. Heutzutage ist der Bau von Raketen keine unüberwindliche Hürde. Zumal Kiew alle benötigten Teile wohl aus dem Westen importieren kann. Die größte Schwierigkeit wird der Gefechtskopf sein, der eigenständig das Ziel ansteuert, und nicht der Raketenteil, der ihn in einer ballistischen Bahn in die Höhe bringt. Beide Seiten werden ihre Luftoffensive also verstärken und es ist mit weit größeren Schäden zu rechnen.

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