Russland soll ein Gerät gestartet haben, das US-Satelliten attackieren kann, sagen die USA. Technisch sind Killer-Satelliten möglich und Putin könnte sie besonders gut gebrauchen.
Die USA behaupten, dass Russland letzte Woche einen Satelliten gestartet habe, der in der Lage, sei andere Satelliten anzugreifen. «Russland hat einen Satelliten in eine erdnahe Umlaufbahn gebracht, von dem wir glauben, dass er wahrscheinlich eine Abwehrwaffe im Weltraum ist», so Pentagon-Sprecher Brigadegeneral Pat Ryder. Er befinde sich auf «dem gleichen Orbit» wie ein Satellit der US-Regierung.
Der Satellit «Cosmos 2576» soll am 16. Mai vom russischen Kosmodrom Plesetsk, etwa 800 km (497 Meilen) nördlich von Moskau, gestartet worden sein. Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos gab bekannt, dass der Start «im Interesse des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation» gewesen sei.
Moskau und Washington werfen sich gegenseitig vor, den Weltraum militarisieren zu wollen. Am Dienstag letzter Woche sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, dass die USA versuchten, den Weltraum in eine «Arena für militärische Konfrontationen» zu verwandeln. Militärexperten gehen davon aus, dass die militärischen Auseinandersetzungen in Zukunft in den Weltall getragen werden.
Im Krieg in der Ukraine sieht man die militärische Bedeutung von Aufklärungssatelliten und des amerikanischen Starlinks-Systems, über das Kommunikation und Datentransfer der ukrainischen Streitkräfte läuft.
Schon Ende Februar deutete Mike Turner, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, an, dass die Russen einen Anti-Satelliten entwickeln könnten. Der Start zum jetzigen Zeitpunkt kann daher im Zusammenhang des Ukrainekrieges gesehen werden.
Kein friedlicher Weltraum
Warum ist ein Anti-Satellit so gefährlich? Weil das Weltall von sogenannten Waffen zweiter Ordnung nur so wimmelt. Die Großmächte haben zwar vereinbart, keine Waffen im Weltall zu stationieren, allerdings haben sie sich darauf verständigt, darunter nur «Waffen» in einem sehr engen Sinn zu verstehen. Der Kommunikations- und Aufklärungsteil eines militärischen Systems gilt hier nicht als Waffe. Würde man diese Logik auf ein Luftabwehrsystem wie die Patriot übertragen, wären nur die Raketen und ihre Launcher «Waffen», die Kommunikationsanlagen und das Radar aber nicht.
Im weiteren Sinne sind zahlreiche Installationen im Weltall «weaponized», neben den rein militärischen Kommunikations- und Spionagesatelliten also auch eigentlich zivile Einrichtungen wie Starlink. Über Musks Satelliten laufen Kommunikation und Zieldatenkoordination der ukrainischen Streitkräfte.
Zivile und militärische Kommunikation ist ohne das Netz an Satelliten nicht möglich, an ihnen hängt die Ortsbestimmung von Autos genauso wie von Raketen. Satelliten und ihre Aufklärungsfähigkeit am Boden sind für moderne Kriege unabdingbar. Präzise Distanzwaffen benötigen hoch präzise Informationen. Der friedliche Himmel istso «weaponized» (im weiteren Sinn), dass die eigentlichen Waffen ohne die Hilfe von oben nicht funktionieren.
Schutzlos im Weltall
Die hohe Bedeutung der militärischen Weltraumarchitektur steht in einen starken Kontrast zu ihrer Verwundbarkeit. Solange eine Konfrontation der militärischen Großmächte unwahrscheinlich war, machte das wenig. Schlechtbewaffnete Gruppen wie die Taliban besaßen nicht einmal Luftabwehrraketen, der erdnahe Weltraum war für sie unerreichbar. Nur Staaten mit einem Weltraumprogramm haben Zugang zu dem exklusiven Club.
Kein Satellit ist mit Abwehrmaßnahmen ausgestattet. Es gibt weder Panzerung, noch die Fähigkeit zu schnellen Ausweichmanövern oder Miniraketen, die einen Angreifer abschießen könnten. Durch die hohen Geschwindigkeiten im Weltall würde eine Handvoll Stahlkügelchen jeden Satelliten zerfetzen, wenn sie in der richtigen Bahn auf ihn treffen.
Ein Angreifer hätte also vermeintlich leichtes Spiel. Doch wie der Putinsche Satellit genau arbeitet soll und ob es ihn tatsächlich gibt, ist derzeit komplett unklar.
Große Zerstörung
Es gilt ein Paradox: Je zartfühlender der Anti-Satellit vorgeht, desto gefährlicher wird er. Rabiate Varianten würden die US-Satelliten einfach angreifen, ob mit Stahlkugeln, Laserstrahlen, kleinen Raketen oder einem gerichteten elektromagnetischen Impuls (EMP). Im schlimmsten und unwahrscheinlichsten Szenario wäre der Anti-Satellit eine besondere Form von Atombombe. Ihre Explosion würde einen gewaltigen EMP auslösen, dieser Schlag würde dann die Elektronik des Gegners am Boden und im Weltall zerstören.
Greift man nur tief genug in die Geschichte der atomaren Abschreckung, gibt es noch schlimmere Horrorideen, die man per Satellit in den Weltraum hieven könnte. Etwa eine Bombe, die gleich die Atmosphäre in Brand setzt.
Große Wirkung
Weitaus bedrohlicher wäre ein anderer Ansatz: Was, wenn es den Russen gelingen würde, einen Störsender in den Orbit zu schicken. Ein Gerät, das die US-Satelliten unbehelligt lässt, aber ihre Kommunikation lähmt? Im engeren Sinne wäre dieser Jammer keine Waffe – so wie Spionagesatelliten auch nicht. Er würde keine Aggression im formalen Sinne bedeuten und trotzdem die US-Satelliten nutzlos machen.
Im Westen wird längst kein Hehl daraus gemacht, dass die USA Kiew mit Aufklärungsdaten im Krieg gegen Russland unterstützen. Das gilt als Hilfe unterhalb der Schwelle der direkten Kriegsbeteiligung. Viele Schläge tief hinter der Front wären ohne diese Daten gar nicht möglich. Sollten die Russen den US-Satelliten das Licht ausknipsen können, wäre das ein wirklich schwerer Schlag für Kiew und den ganzen Westen.
Der «Weltraumvertrag» bannt auch keineswegs alle Waffen im All. Im Artikel IV heißt es nur: Alle Vertragsstaaten verpflichten sich, «keine Gegenstände, die Kernwaffen oder andere Massenvernichtungswaffen tragen, in eine Erdumlaufbahn zu bringen und weder Himmelskörper mit derartigen Waffen zu bestücken noch solche Waffen im Weltraum zu stationieren.» Unterhalb der Schwelle von Massenvernichtungswaffen und Atombomben ist alles erlaubt, eben auch ein Anti-Satellit.
Lohnende Ziele
Elektronische Kampfführung (EW – electronic warfare) wird vom breiten Publikum kaum wahrgenommen. Im Vergleich zu Jets und Panzern sind die Geräte unscheinbar. Ihre Leistung ist verborgen, für den Laien gibt es nur einen Container zu sehen, der mit Rechnern vollgestellt ist. Im Ukraine-Krieg zeigt sich, wie wichtig EW geworden ist. Es gibt unzählige Berichte, wie tödlich kleine Drohnen sind – nur sehr wenige gehen darauf ein, welche Rolle EW im Drohnenkrieg spielt.
Wenn es einer Seite gelingt, die Drohnen der anderen Seite zu stören, verschwinden sie buchstäblich vom Himmel und die eigenen Kampfdrohnen haben freie Bahn. Eine weitere bittere Wahrheit: Häufig liegt das «rückständige» Russland in diesem High-Tech-Krieg vorn, und die Ukraine – mitsamt den westlichen Unterstützern – hat das Nachsehen.
Die Zeit, dass die militär-zivile Satellitenlandschaft gefahrlos vor sich hinarbeiten kann, geht ohnehin zu Ende. Immer mehr Länder steigen in die Raketentechnologie ein, darunter auch Nordkorea. Für sie ist die Idee verlockend, mit relativ kleinem Aufwand die Satelliten der USA zu bekämpfen. Hier böte sich die Chance, das High-Tech-Militär-Potenzial der USA auf das Niveau des Kalten Krieges zurückzustutzen.