Krieg in der Ukraine Hoffnung «Peak-Produktion» – so soll der Westen Putin bei der Rüstung überholen
Russlands Rüstungsmaschine brummt, aber nicht mehr lange. Der Ausstoß soll 2024 seinen Höhepunkt erreichen und dann zurückgehen. Was spricht für diese Annahme, und wo sind die Probleme?
Putins Militärmaschine hat den Westen Lügen gestraft. 2022 wurde hierzulande prognostiziert, dass die Industrie durch westliche Sanktionen zusammenbrechen, dem Kreml wegen fehlender Exporte das Geld ausgehen würde und die Verluste plus Zwangsmobilisierung die Bevölkerung gegen Putin aufbringen würden. Geschehen ist das Gegenteil. Mit freiwilligen Rekruten werden die Verluste an der Front überkompensiert. Die russische Armee leidet keinen Mangel an Granaten, Drohnen und Lenkwaffen, während die Rüstungsindustrie im Westen nur langsam erwacht.
Russische Rüstung auf einem Hoch
Dennoch ist die Lage nicht aussichtslos. Westliche Experten gehen davon aus, dass Russland derzeit den Bereich der «Peak Produktion» erreicht hat, eine weitere Steigerung nicht möglich ist. Im Gegenteil: Bei zentralen Gütern wie gepanzerten Fahrzeugen jeder Art könnte es in etwa zwei Jahren einen starken Einbruch geben. Die damit verbundene Botschaft: Die ukrainischen Soldaten mögen noch weitere zwei Jahre aushalten, dann werde sich die Lage an der Front bessern.
Aufarbeitung und kaum Neuproduktion
Was spricht für diese Annahme? Die These gründet sich auf die Art der russischen Produktion. Bei den gepanzerten Fahrzeugen, aber auch bei Lkw, gibt es nur einen kleinen Teil von kompletten Neuproduktionen. Der größte Teil des Ausstoßes sind aufbereitete Modelle aus Lagerbeständen. Es wird kein T84 oder T72 komplett neu aufgebaut, Basis ist jeweils ein altes Modell. Und das ist die Schwachstelle der russischen Produktion. Irgendwann haben die enormen Verluste die Lagerbestände aufgefressen. Dann ist diese Art der Aufarbeitung am Ende. Und zuvor wird sie immer schwieriger und aufwendiger. Zu Beginn des Krieges hat man die am besten erhaltenen Modelle aus dem Lager geholt, im Laufe der Zeit muss man auf immer schlechteres Grundmaterial zurückgreifen.
Beim angesehenen «Royal United Services Institute» (RUSI) liest sich das so: «Die Zahl der eingelagerten Systeme bedeutet, dass Russland zwar bis 2024 eine konstante Produktion aufrechterhalten kann, ab 2025 jedoch feststellen wird, dass die Fahrzeuge einer umfassenderen Aufarbeitung bedürfen, und bis 2026 werden die meisten der verfügbaren Bestände erschöpft sein.»
Lagerbestände nicht unerschöpflich
Das ist zumindest die Idee. Dem gegenüber stehen die großen Lagerbestände der Russen. Zu Beginn des Krieges waren 7000 T72 und 3000 T80 eingelagert. Diese Modelle gehören zur Reserve, dazu gibt es weitere Bestände, die bereits als Schrott ausgemustert wurden. Russland hat begonnen, auch die längst aufgegebenen T62 aufzuarbeiten, auch hier dürften sich noch Tausende an Altmodellen finden. Überschlägt man diese Zahlen, bleibt die Grundidee, dass diese Bestände irgendwann erschöpft sein werden, weiterhin richtig, allerdings erscheint die zeitliche Prognose sehr optimistisch.
Anders sieht es bei hochkomplexen Systemen wie modernen Kampfjets oder Überwachungsflugzeugen aus. Würde es Kiew gelingen, den Russen hier kontinuierliche Verluste beizubringen, könnten diese nicht durch das Frischmachen von alten Jets ausgeglichen werden. Sollte Russland gezwungen sein, Panzer und Schützenpanzer komplett neu aufzubauen, werden der Ausstoß sinken und gleichzeitig die Kosten steigen. Auch ist der Bau ganz neuer Montagehallen und Produktionsstätten teuer und zeitaufwendig. RUSI rechnet mit Bauzeiten von fünf Jahren für eine Granatenfabrik.
Was bekommt die Ukraine?
Allerdings sprechen einige Faktoren gegen diese Rechnung. Ein blinder Fleck sind die Verluste der Ukraine, die ausgeglichen werden müssen. Wenn die Russen noch Tausende von Kampfpanzern nachschieben können, muss die Frage beantwortet werden, wo Kiew in etwa vergleichbare Mengen herbekommen soll.
Für das Hochfahren der Rüstung im Jahr 2023 und 2024 konnten die Russen einen schlafenden oder besser mumifizierten Riesen wiederbeleben. Die Strukturen und Fabriken der alten UdSSR-Rüstung existierten noch – zumindest in einem Dornröschenschlaf. Die Firmen gingen in der Zeit nach 2010 reihenweise pleite, oder die Produktion wurde eingestellt. Doch diese Trümmer ließen sich wiederbeleben, mit ihnen wurde das russische Rüstungswunder aufgestellt.
Neue Rüstungs-Produktion
Das lässt sich nicht wiederholen, doch die Russen haben das Problem ebenfalls erkannt. Wichtigstes Zeichen dafür ist der neue Rüstungsminister Andrej Beloussow. Ein fähiger Ökonom, durchsetzungsstarker Technokrat und – in Putins Reich eine Besonderheit – unbestechlich. Er soll die zweite Stufe der Mobilisierung der Kriegswirtschaft zünden. An seiner Hingabe lässt er keinen Zweifel. Bei der Anhörung vor der Ernennung gelobte er, «all meine Kräfte, meine Gesundheit und, falls erforderlich, mein Leben der Erfüllung der zugewiesenen Aufgaben zu widmen.»
Dafür ist ein ganzer Strauß an Maßnahmen notwendig. Im Bereich der Schwerindustrie – Bomben, Granaten und gepanzerte Fahrzeuge – wird eine Ausweitung der Produktion nur mit neuen Anlagen gelingen. Bei der Aufarbeitung der T-80 Panzer gab es schon einen Vorgeschmack, für sie werden seit einigen Monaten nagelneue Triebwerke angefertigt. Die Neuproduktion geht also schon.
Die Analystin Patrica Marins erinnert an das Kostenproblem. Der Westen bezahlt für zentrale Rüstungsgüter viermal so viel wie der Kreml. Sie schreibt auf «X»: «Der russische Vorteil liegt nicht in Raketen oder Landgewinnen, sondern darin, dass sie die Grundlage für einen langen Krieg zu geringen Kosten und durch die Kontrolle der Lieferketten geschaffen haben.» Von beiden kann in der EU nicht die Rede sein.
Die Hoffnung auf die «Peak Produktion» basiert auf der Annahme, dass privatwirtschaftliche Firmen im Westen besser agieren als Putins dirigistische Staatswirtschaft. Das lässt sich auf ein einfaches Bild herunterbrechen. Rheinmetall muss große Kapazitäten für Artilleriemunition schnell aufbauen und die dabei notwendigen Lieferketten sichern. Die Wette dabei lautet, dass dieses Vorhaben im Westen schneller gelingt als in Russland, das auf Chinas Werkzeugmaschinen und Produktions-Know-how und existierende Verträge für Rohstoffe zurückgreifen kann. Dazu basieren die Rüstungspläne etwa für Artilleriemunition im Westen darauf, dass Länder wie China die Lieferungen an den notwendigen Rohstoffen großzügig erhöhen. Allein diese Abhängigkeit lässt Zweifel am Ausgang des Wettrennens aufkommen.
Quellen: RUSI