Interview
Omega-Timing-CEO Der Mann am Drücker: Warum Alain Zobrist bei den Olympischen Spielen nichts entgeht
Seit 1932 nimmt Omega bei den Olympischen Spielen die Zeit. Aus einfachen Chronografen-Stoppuhren sind inzwischen Hunderte Tonnen Ausrüstung geworden. Doch die Verantwortung trägt noch immer der Mensch – und Omega-Timing-CEO Alain Zobrist darf sich keine Fehler erlauben.
Herr Zobrist, vor fast 100 Jahren wurde die Zeit bei den Olympischen Spielen mit 30 Chronografen per Hand gestoppt. Wie sieht es heute aus?
Manuell oder analog ist heute nichts mehr. Es gibt elektronische Startpistolen, an der Ziellinie hochsensible Kameras. Zwar drückt niemand mehr auf den Drücker einer Stoppuhr, doch wäre die Zeitnahme ohne Menschen nicht möglich.
Wie umfangreich sind Ihre Daten?
Wir messen auch die Leistung der Sportler und Umwelteinflüsse wie den Wind. Er kann Athleten zu Spitzenwerten verhelfen. Ist er zu stark, gilt die Zeit zwar für den jeweiligen Wettkampf, nicht aber offiziell als Weltrekord. Das ist wichtig, damit internationale Bestmarken vergleichbar bleiben.
Welche Disziplin ist besonders anspruchsvoll und warum?
Bei der Leichtathletik passieren viele Dinge gleichzeitig. Die Datenflüsse müssen korrekt funktionieren, und alles muss ineinandergreifen. Das macht die fehlerfreie Messung komplex.
«Kameras sind bei den Olympischen Spielen inzwischen unabdingbar»
Was war die wichtigste Neuerung in der Geschichte der olympischen Zeitmessung der vergangenen Jahrzehnte?
Kameras sind bei den Olympischen Spielen inzwischen unabdingbar. In Paris kommt erstmals ein Modell zum Einsatz, das 30.000 hochauflösende Bilder pro Sekunde schießt. Damit können wir die Zielzeit noch genauer bestimmen. Auch freuen wir uns auf das neue System für die Ausspielung von TV-Grafiken, das wir entwickelt haben.
Entwickelt Omega die Technik komplett eigenständig?
Das ist ein Mix. Die Kerntechnologien entwickeln wir selbst. Damit ist quasi alles gemeint, was direkt mit der Zeiterfassung zu tun hat. Auch die Software für die Datenverarbeitung und alles, was mit den Einblendungen im TV zu tun hat, kommt von uns. Bei manchen Sportarten, beispielsweise beim Schießen, arbeiten wir mit anderen Unternehmen zusammen, da wir Technik wie elektronische Zielscheiben nicht selbst entwickeln. Manchmal arbeiten wir auch mit Start-ups zusammen, aktuell zum Beispiel beim Thema künstliche Intelligenz, weil von dort spannende neue Lösungen kommen, die wir uns ansehen und deren Nutzen für Olympia prüfen.
Was macht Omega, wenn neue Sportarten, etwa wie dieses Jahr das Breaking, hinzukommen?
Das ist oft einfacher, als man denkt. Wir haben aktuell Lösungen für rund 100 Sportarten, nicht alle davon sind olympisch. Aber wenn eine neue Disziplin aufgenommen wird, stehen die Chancen gut, dass wir bereits eine passende Technologie haben, die wir mit mehr oder weniger zusätzlichem Aufwand anpassen können.
Welchen Vorlauf muss Omega bei anstehenden Olympischen Spielen einplanen?
Etwa drei Jahre vor der Eröffnungsfeier beginnen wir mit der Planung. Auch schon vor Ort. Das ist wichtig, weil wir eng mit Behörden und dem IOC arbeiten. Etwa zu dieser Zeit beginnen auch die ersten Aufbauten in den Stadien. So was wie Kabeltunnel, Internetanschlüsse und so weiter. Wir müssen auch früh damit anfangen, für das leibliche Wohl des Teams zu planen und dafür eine Infrastruktur aufbauen. Etwa zehn Tage vor der Eröffnungsfeier sind dann fast alle vor Ort.
Wie viele Menschen werden in Paris für die Zeitnahme arbeiten?
Wir haben etwa 30 Hotels mit 550 Leuten besetzt. Die brauchen Essen, Transport, und natürlich muss jeder wissen, was zu tun ist. Das dauert seine Zeit.
Wenn Sie auf die Geschichte der Zeitmessung zurückblicken: Welchen Wettkampf hätten Sie selbst gern miterlebt, und was war Ihr persönliches Highlight?
Die perfekte 10 der Kunstturnerin Nadia Comaneci hätte ich gern live gesehen. Das war 1976 in Montreal. Niemand hielt diese Leistung für möglich, und man war dementsprechend nicht vorbereitet. Die damals neue Anzeigetafel konnte maximal eine 9,9 darstellen, weil sie nur eine Dezimale vor dem Komma bot. Niemand dachte, man bräuchte mehr – und dann kam Nadia. Ich persönliche erinnere mich gern an die fünfte Goldmedaille des Jahrhundertschwimmers Michael Phelps in Peking. Das war so knapp und wenig Differenz, dass man den Unterschied ohne spezielle Technik nicht hätte messen können. Da merkt man, wie wichtig der eigene Beitrag für so ein Event wirklich ist.
Erschienen in stern 21/2024