Überwachung überall Warum Googles Inkognitomodus gar nicht privat ist – und sich das endlich ändert
Es gibt viele Webseiten, von denen soll nicht jeder wissen, dass man sie besucht – auch nicht Google. Doch nur den Privatmodus einzuschalten reicht nicht, um das Geschnüffel abzustellen. Nun muss der Konzern Milliarden von trotzdem gespeicherten Datensätzen löschen.
Das offizielle Beispiel ist fast etwas niedlich: Wenn man ein Geburtstagsgeschenk für seine Liebsten googelt, die aber davon nichts erfahren sollen – dann schaltet man den privaten Modus des Browsers ein. In vielen Fällen dürfte er wohl für etwas andere Bedürfnisse genutzt werden. Doch die meisten Menschen erhoffen sich von dem Modus deutlich mehr, als er wirklich bietet: Privat ist daran nämlich nur wenig – Google schnüffelt fleißig mit. Nun muss der Konzern das aber ändern.
Das ist das Ergebnis einer Sammelklage, die bereits 2020 gegen Google eingereicht wurde. Sie warf dem Konzern vor, seine Nutzer in Marketing und Kommunikation bewusst im Dunkeln gelassen zu haben, wie der bei Google «Inkognitomodus» genannte Privatmodus funktioniert – und welche Daten der Konzern dabei weiterhin über seine Kunden sammelt. Nun wurde das Verfahren mit einem am Montag bei einem Gericht in San Francisco eingereichten Vergleich beendet. Google muss den Unterlagen zufolge nicht nur den Umgang mit den Daten ändern – sondern auch Milliarden von Datensätzen löschen.
Google Chrome: Wie privat ist der Inkognitomodus wirklich?
Der private Modus funktioniert bislang nämlich deutlich anders, als man intuitiv annehmen würde. Schaltet man ein privates Fenster ein, werden lediglich der Verlauf in diesem Fenster, möglicherweise in Formulare eingetragene Daten und erlaubte Cookies nicht gespeichert. Der Modus unterdrückt aber weder das Tracking durch Google selbst, noch das durch andere Webseiten. Im Klartext: Der Privatmodus schützt nur vor neugierigen Blicken anderer Menschen, die das Gerät ebenfalls benutzen. Alle anderen Interessierten lesen wie gehabt weiterhin mit.
Selbst das Aktivierungsfenster des Modus gibt das mittlerweile offen zu: «Andere Personen, die dieses Gerät verwenden, können deine Aktivitäten nicht sehen, sodass du privat surfen kannst», erklärt Googles Browser Chrome den Modus. Und fügt dann hinzu: «Dies hat keine Auswirkungen darauf, wie Daten durch von dir besuchte Websites und den von ihnen genutzten Diensten, einschließlich Google, erhoben werden.»
Pornoseiten wissen, wer da surft
Und das wird fleißig genutzt: Eine Studie zeigte schon 2019, dass Internetriesen wie Meta (damals noch Facebook) und Google ihre angemeldeten Nutzer selbst über Pornoseiten verfolgen konnten – ganz egal, ob man den privaten Modus nutzte oder nicht. Forscher der Carnegie Mellon University, der University of Pennsylvania und von Microsoft hatten damals 22.484 Pornoseiten auf sogenannte Tracking-Tools untersucht. Und sie wurden fündig: Mehr als 93 Prozent der Seiten gaben die Daten gnadenlos an die Internetriesen weiter. Alleine Googles Tracker wurden auf 74 Prozent der Schmuddelseiten gefunden, Facebooks immerhin noch auf 10 Prozent.
Die sehr privaten Vorlieben konnten von den Datensammlern dann mit den anderen Profildaten der Nutzer verarbeitet und etwa für Werbezwecke benutzt werden. Das will Google nach eigenen Angaben immerhin nicht getan haben: «Personalisierte Werbung und Werbeprofile, die auf den sexuellen Interessen eines Nutzers oder damit verbundenen Aktivitäten im Internet basieren» habe man gemieden, erklärte das Unternehmen damals der «New York Times.»
Milliarden Datensätze werden gelöscht
Wie wertvoll die Informationen für Google waren, errechnete Anwalt David Boies auf Basis verfügbarerer Daten: Eine Zeitlang war Google bereit, für Daten der Nutzer Geld zu bezahlen, überwies drei Dollar im Monat für anderweitig nicht ermittelbare Daten. Würden alle der 136 Millionen möglichen Mitkläger in den USA jeweils nur ein Gerät zweimal im Jahr benutzen, käme schon eine Summe von 6,12 Milliarden Dollar heraus, rechnen die Anwälte in den am Montag eingereichten Unterlagen vor. Natürlich dürften die meisten den Browser weitaus öfter nutzen. «Es handelt sich um sehr konservative Berechnungen», heißt es entsprechend.
Mit zwei Maßnahmen will Google die Datenflüsse nun einschränken: Zum einen sicherte der Konzern zu, Milliarden von Datensätzen zu löschen, die während privater Sitzungen gespeichert worden sind. Zum anderen verspricht der Konzern, für mindestens fünf Jahre die Datensammlung im privaten Modus deutlich herunterzufahren. In Bezug auf Drittanbieter war das schon länger der Fall: Bereits 2020 führte der Konzern in Reaktion auf die Klage ein, dass Chrome im Privatmodus ab Werk das Setzen von Drittanbieter-Cookies verhindert und damit das Tracking erschwert. In der Einigungsschrift heißt es nun, der Konzern wolle das beibehalten. Es sei eine «historische Einigung», schwärmte Anwalt Boies gegenüber «Ars Technica».
«Historischer» Erfolg oder doch nur Bagatelle?
Der Konzern sieht das etwas anders. «Die Kläger wollten eigentlich fünf Milliarden Dollar und bekommen nichts davon», erklärte Google-Sprecher José Castañed gegenüber «Ars Technica». Auch die Löschung der Daten spielt er herunter, sie sei «nicht besonders wichtig», so der Sprecher. «Wir haben noch nie Daten aus dem Inkognito-Modus mit Benutzerprofilen verbunden oder sie zur Personalisierung genutzt.» Aus der Einigung geht hervor, dass Google anfänglich sogar behauptet hatte, die Daten gar nicht auffinden zu können, letztlich aber doch der Löschung zugestimmt hatte.
Ob Google zusätzlich noch Geld zahlen muss, ist noch offen. Die Einigung sieht zwar keine direkten Zahlungen an die Klagenden vor – die Datenlöschung wird auch von den Klägern als finanzieller Beitrag Googles gewertet. Allerdings lässt die Einigung die Möglichkeit offen, individuell einen Schadensersatz einzufordern. Etwa 50 Berechtigte sollen in Kalifornien bereits entsprechende Klagen vorbereiten, erklärte Boies gegenüber dem «Wall Street Journal».
So surfen Sie wirklich privat
Wer wirklich unverfolgt surfen möchte, sollte allerdings ohnehin darüber nachdenken, einen anderen Browser als Chrome zu verwenden. Schließlich ist Werbung Googles Geschäftsmodell. Der früher beliebte Mozilla Firefox etwa positioniert sich bereits seit Jahren als Datenschutz-Alternative. Der von einer Stiftung betriebene Browser blockt bereits seit 2021 im privaten Modus alle Versuche, die Daten dennoch zu sammeln. Die Sammelwut der sozialen Netzwerke wie Facebook wird durch sogenannte «Container» ebenfalls unterbunden: Während Facebook, Tiktok und Co. in anderen Browsern auch die Daten der anderen Tabs abzugreifen versuchen, werden sie im Firefox in einen digitalen Container gesperrt – und können so nicht ausgelesen werden.
Quellen:Einigungs-Dokumente, New York Times, Ars Technica, Wall Street Journal