Analyse
Ukraine-Krieg Poking the Bear: Kiews Angriffe auf Putins Frühwarnsystem sind ein Spiel mit dem Feuer

Dieser Screenshot aus dem Messengerdienst Telegram ist zwar unscharf, zeigt aber trotzdem, wie stark das Frühwarnsystem in Armawir beschädigt wurde. Was macht Putin?
© Screenshot Telegram
Kiew zielt auf Radaranlagen, die Russland vor einem Atomwaffenangriff warnen sollen. Zwei von zehn dieser Frühwarnsysteme sollen bereits ausgefallen sein. Die Attacken setzen Putin unter Zugzwang.
Die Ukraine hat zwei Stationen des russischen Frühwarnsystems Voronezh-DM angegriffen und beschädigt, vielleicht sogar zerstört. Die Angriffe sind anders als vorherige Attacken im russischen Hinterland zu bewerten, ihre Bedeutung ist größer: Zwar haben die Radaranlagen keinen Einfluss auf den Krieg in der Ukraine, sie gehören aber zu Russlands strategischem Atomwaffenprogramm. Auf russischem Gebiet verteilen sich zehn der Anlagen.
Obwohl sie am Boden aufgebaut sind, können sie Ziele in großer Entfernung erfassen. Sie arbeiten mit einer Reichweite von 6000 Kilometern – also weit über den Horizont hinaus. Ihre Aufgabe: den Start ballistischer Raketen frühzeitig erkennen und dem Kreml Zeit für Gegenmaßnahmen geben. Die von der Ukraine eingesetzten Raketen erreichen aber nicht die notwendige Flughöhe, um von dem System wirkungsvoll erfasst und bekämpft zu werden.
Wertvolles Frühwarnsystem
Auch wenn sie für den Vernichtungsfeldzug in der Ukraine keine Bedeutung haben, sind die Anlagen doch wertvolle militärische Ziele, deren Verlust Russland schmerzen wird. Als Teil des strategischen Frühwarnerkennungssystems beeinträchtigt ihr Ausfall die Fähigkeit Russlands, auf einen nuklearen Erstschlag zu reagieren. Und hier liegt das Problem: In der russischen Nukleardoktrin ist ein Schlag mit Atomwaffen nicht allein dann vorgesehen, wenn der Gegner als Erster Nuklearwaffen einsetzt, sondern auch dann, wenn konventionelle Waffen die russischen Nuklearfähigkeiten beeinträchtigen. Mit dem Angriff auf das Radarsystem wäre ein solcher Grenzfall erreicht, die nukleare Option käme ins Spiel. Und zwar definitiv eindringlicher als bei den regelmäßigen russischen Warnungen oder den derzeitigen russischen Übungen mit taktischen Atomwaffen.
Abgestimmt oder Solo-Mission
Offen ist, ob die USA an diesem Schlag beteiligt waren, wie der österreichische Oberst Reisner vermutet. Das müsste man es als deutliche Warnung an Russland begreifen, von nuklearen Drohungen Anstand zu nehmen. Hat Kiew die Entscheidung, das Warnsystem anzugreifen, allein getroffen, droht indes noch mehr Eskalation. Der Kreml muss und wird reagieren, sollte Kiew weiterhin Anlagen der strategischen Atomwaffen angreifen,
Schon die Angriffe auf russische Ölraffinerien gefährden die Einnahmen des Kreml, eine allmähliche Degradation der strategischen Atomwaffen aber würde auf das russische Verständnis als globale Militärmacht zielen. Das kann Putin nicht hinnehmen. Fragt sich nur, wie ein Gegenschlag aussehen könnte.
Quelle: Defence Monitor, Kyiv Independent
